"Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile." (Aristoteles) und
"Je mehr ich weiß, desto mehr weiß ich, dass ich nichts weiß." (frei nach Sokrates)
verschiedene Schleimpilze; Quelle der Bilder und Arten |
Wie entsteht aus einer einzigen Zelle ein ganzer Mensch, ohne dass jemand kommt und von außen die Zellen zurecht rückt?
Wie wird von einem Moment auf den anderen aus vielen tausend einzelnen Schleimpilzzellen ein Schleimpilzwurm (vergleiche Dictyostelium discoideum), der plötzlich kriechen und hell von dunkel unterscheiden kann?
Woher "weiß" eine Pflanze, wo ein Blatt hin kommt und wo und wann ihre Blüte?
Die Antwort auf diese und viele weitere Fragen ist, wie der Titel schon verrät, Selbstorganisation. Was ist das nun und wie funktioniert Selbstorganisation im allgemeinen? Wenn man einen Teil der Welt beschreiben möchte, kann man dies auf verschiedene Arten tun - zum Beispiel malerisch, sprachlich oder mathematisch. Ich möchte an dieser Stelle für dich die mathematische Betrachtung wählen. Dafür gibt es das Modell des Systems, du nimmst also einen zusammenhängenden Ausschnitt der Welt, den du interessant findest.
Systeme sind zeitlich oder örtlich oder funktionell verbundene Elemente, die miteinander wechselwirken und sich so beeinflussen. Kannst du ein System mathematisch beschreiben, kannst du damit Aussagen über die Zukunft oder die Gegenwart des betrachteten Systems machen und gegebenenfalls beeinflussen. Zum Beispiel kannst du, wenn du die Umlaufbahn eines Satelliten mathematisch beschreibst, vorhersagen ob der Satellit in ein oder zwei Jahren vielleicht mit einem Meteoriten kollidiert, weiter um die Erde kreist oder vielleicht abstürzt. Für jede Beschreibung musst du dir darüber im klaren sein, was du wissen oder beeinflussen möchtest. Möchtest du die notwendige Energie zur Beschleunigung eines Satelliten beschreiben, musst du dir überlegen, welche Eigenschaften deines Satelliten diese beeinflussen. Da wären zum einen die Masse deines Satelliten, der Ort (gibt es eine Atmosphäre oder nicht?), welche kinetische Energie hat dein Satellit bisher und so weiter. Dies sind die Eingangsgrößen deines Systems und die Beschleunigung des Satelliten ist die Ausgangsgröße. Dinge wie Farbe und Material deines Satelliten sind dabei unwichtig, weil sie die Beschleunigung so gut wie nicht beeinflussen. Interessiert dich hingegen die Temperatur an einem bestimmten Ort in deinem Satelliten, zum Beispiel, weil das eine oder andere Bauteil nur unter bestimmten Temperaturen arbeitet, dann sind auch Dinge wie Farbe (Lichtabsorption) deines Satelliten, Materialien, Form, Stromstärken in den Schaltkreisen und die Umgebungstemperatur von Bedeutung.
Ein System kann Zustände haben, die stabil oder instabil sind. Beschreibt man die Erdumlaufbahn deines Satelliten, würde das bedeuten entweder der Satellit fliegt immer unbeirrt um die Erde, dann wäre seine Umlaufbahn ebenso stabil, wie wenn er auf die Erde stürzt. Letzteres wäre dann dauerhaft eine Fluggeschwindigkeit von Null mit dem Radius der Erde. Fliegt er hingegen in das Weltall, weil seine Geschwindigkeit zu hoch ist, ändert der Satellit dauerhaft seine Position und hat somit keine stabilen Zustände. Der Absturz des Satelliten wäre dabei eine stabile Ruhelage, weil auch kleine "Auslenkungen", also kleine Veränderungen der Systemgrößen immer wieder zu einem Absturz führen würden. Das dauerhafte Kreisen des Satelliten um die Erde ist hingegen keine stabile Ruhelage. Auch relativ kleine Veränderungen der Geschwindigkeit des Satelliten würden zum Absturz oder Wegfliegen führen. Prinzipiell ist die Unterteilung der Ruhelagen noch ein klein wenig komplizierter, aber so ist es an dieser Stelle völlig ausreichend.
Babyentstehung: Man kann auf diese Art und Weise auch andere Dinge beschreiben. Zum Beispiel die räumliche und zeitliche Verteilung der Konzentration von Molekülen oder Zellen. Habe ich also die erste Zelle zu einem Baby (die Zygote), verändert sich der Zustand dieser Zelle, durch äußere und innere Signalstoffe (Moleküle), sodass sie sich teilt und wieder teilt und wieder teilt, wobei jede Zelle genauso aussieht und funktioniert wie die erste Zelle. Irgendwann habe ich dann einen ganzen Haufen von Zellen. Da keine Zelle ein Gehirn hat und nicht denken oder sehen kann, "weiß" die Zelle nichts von sich und ihrer Umgebung. Man hat also nur Moleküle, die mit anderen Molekülen reagieren und zu neuen Molekülen werden oder produzieren.
Fraktale in einer Kugel. Zur Vorstellung, wie verschiedene Konzentrationen verteilt sein könnten und Muster ergeben. |
Lichtmikroskopieaufnahme eines Embryo im Vier-Zell-Stadium. |
Zu den anderen Fragen:
Andere Lebewesen: Auch der benannte Schleimpilz findet sich so zusammen und sorgt für eine Veränderung jeder einzelnen Zelle, sodass ein kleiner "Wurm" entsteht. Und genau so "weiß" eine Pflanze, an welcher Stelle sie neue Blätter bauen muss oder bei welcher Temperatur und mit welchen Licht sie Blüten basteln muss, denn Moleküle und damit Zellen können auch durch Licht und Temperatur beeinflusst werden.
--anja--
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