Montag, 9. März 2015

Diskussion - Lernen mit Stress - gut für das Gedächtnis?

  "Der Mensch soll lernen, nur die Ochsen büffeln." (Erich Kästner) 

Neuere Studien mit Ratten haben die Forscher zu dem Schluss geführt, dass moderater Stress dem Erinnerungsvermögen dienlich sei; vergleiche "↗Gedächtnis unter Strom".

Um meine kurze Aussage diesbezüglich auf ↗Twitter (20. Feb.: "@blackmac42 @BlessTheTeacher @zeitpodcast - Problem ist, so gelerntes Wissen ist nicht für kreative Prozesse abrufbar vgl. Manfred Spitzer" ) etwas genauer zu erklären:

Prinzipiell ist dieser Zusammenhang schon seit längerem bekannt und logisch. Stress ist - vor allem in dem erwähnten Zusammenhang - oft eine Beschreibung des Zustandes eines Wesens, der durch Angst ausgelöst wird. Angst wird empfunden, wenn etwas eine Gefahr darstellt. Da Menschen in festen Sozialstrukturen leben und auf diese angewiesen sind, führt auch eine subjektiv wahrgenommene Bedrohung der persönlichen Sozialgefüge zu Stress. (Dazu schreibe ich gern ein anderes Mal mehr. Nur so viel: ich sehe in den Medien und den populären Wirtschaftsmodellen eine große Verfälschung/Fehleinschätzung unter anderem durch starke Vereinfachung, was Menschen auszeichnet).

Gefühle sind die Grundlage für verschiedene Lernvorgänge. Ein kleiner "Beweis" findet sich bei Kindern, welche durch Gendefekte über kein Schmerzempfinden verfügen und daher selten alt werden (ein - kein wissenschaftlicher - dafür aber frei verfügbarer Bericht darüber findet sich in der ↗Zeit). Aber auch weniger "körperliche" Gefühle, wie Freude durch Anerkennung, Erfolg oder Ärger durch Misserfolg oder Verachtung tragen zum Lernen bei (vergleiche hierzu zum Beispiel ↗S. Neumann-Poenisch/A. Höller, ... ). Da Gefühle eine subjektive Bewertung einer konkreten Information oder Situation sind, geben sie uns also den Anhaltspunkt für die Kategorien gefährlich, interessant, aufregend und uninteressant, unwichtig, vernachlässigbar. Durch diese Kategorisierung "entscheiden" Gefühle somit über die subjektive Wichtigkeit einzelne Sachverhalte zu speichern bzw. zu lernen, um in späteren neuen Situationen darauf zurück zu greifen. Unser Gehirn speichert dabei aber nicht nur "tote" Informationen, sondern verknüpft diese gleichzeitig mit dem Gefühl, welches wir beim Lernen hatten. Darüber hinaus entscheidet das Gefühl beim Lernen mit darüber, wie und in welcher Gehirnregion diese Informationen abgespeichert werden, sodass auf bestimmte Informationen schneller zugegriffen und somit auch schneller reagiert werden kann, als auf andere. Ein schneller Zugriff erlaubt jedoch keine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Außerdem werden die Ressourcen eines Menschen unter Stress (Angst) der Vermeidung dieser Gefahr gewidmet und nicht der Findung besonders raffinierter neuer Lösungen/ Konzepte. Da das erlernte Wissen mit einem Gefühl verknüpft ist, wird dieses beim erneuten Aufruf, ebenfalls erneut im Körper erlebt. Nebenbei wäre es aus evolutionärer Sicht furchtbar unsinnig, gefährliche Sachverhalte nicht besonders schnell zu erlernen und stattdessen diese Erfahrungen mehrfach zu wiederholen. Ist der Stress hingegen zu groß, stehen einfach keine Ressourcen für den Lernvorgang zur Verfügung, der nebenbei erwähnt sehr energieaufwendig ist. 

Zum Thema Manfred Spitzer und dessen Ansichten:

Ich denke ihm stehen als Forscher 2 Dinge in der Öffentlichkeit im Weg. Das eine ist sein Temperament, was zu absoluten und vereinfachenden Statements führt, wobei der Vorteil in dieser Art der Darstellung natürlich die Provokation und damit die gewonnene Aufmerksamkeit ist. Zum anderen sind seine Aussagen, die er in seinen Büchern wesentlich differenzierter und mit Belegen kommuniziert, nicht das, was Menschen hören möchten und daher auch in ihrer persönlichen Wahrnehmung gern aktiv übersehen. Menschen haben ausgeklügelte Filter um unliebsame Dinge, welche zum Beispiel dem eigenen Selbstbildnis schaden, zu ignorieren (vergleiche hierzu ein Sachbuch von ↗C. Fine).
Zu ersterem möchte ich ein Zitat von Dieter Hildebrandt anmerken "Meine Damen und Herren, ich hoffe Sie verzeihen mir meine Leidenschaft, ich hätte Ihnen die Ihre auch gerne verziehen." 
Zum zweiten Punkt und dem Thema der "digitalen Demenz": 
Spitzer verteufelt ja moderne Rechentechnik auf keinen Fall grundsätzlich - ohne diese Technik wäre seine komplette Forschung nicht durchführbar. Er meint nur, dass der Umgang damit gründlich durchdacht werden sollte und sie gerade bei der Entwicklung von Kindern nicht nur positive Dinge hervorbringt, sondern auch enormen Schaden anrichten kann. Ich möchte an dieser Stelle nicht genauer auf die einzelnen Argumente eingehen, sondern nur kurz anmerken, dass Frankreich zum Beispiel ein Verbot zur Entwicklung von Fernsehprogramm für Kinder unter 3 Jahre eingeführt hat und Deutschland seither auf dem KiKa sein Programm grundsätzlich erst ab 3 Jahren empfiehlt (vergleiche einen Artikel aus der ↗SZ beziehungsweise ein Bericht der ↗Produzenten Allianz). Darüber hinaus hat man in China auch Nachteile des unreflektierten Einsatzes moderner ↗Medien in der Bildung festgestellt. Da mittlerweile in Finnland ab 2016 ↗das Erlernen der Schreibschrift nicht mehr als Ziel auf den Lehrplänen stehen soll, sind viele Kritikpunkte durchaus nicht übertrieben. Die Entwicklung der Motorik ist für unser Gedächtnis unerlässlich, ebenso für unser räumliches Vorstellungsvermögen. Wenn man verschiedene Memotechniken bedenkt, die seit der Antike einsetzt werden, sollte man sich der engen Verknüpfung dieser Aspekte bewusst sein.

--anja--

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